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Was sind Essstörungen?

in Essstörungen und -verhalten 13.09.2010 19:35
von MissUnpredictable | 13 Beiträge

Menschen, die an Essstörungen leiden, zeigen Störungen der Nahrungsaufnahme (Dysorexie) sowie des Körpergewichts (Dysponderosis) ohne erkennbare organische Ursachen. Die unterschiedlichen Manifestationen der Essstörungen können dabei durchaus auch ineinander übergehen ("Dysorexie-Dysponderosis-Kontinuum" ).

Essstörungen gehören zu den psychischen Störungsbildern mit der stärksten Zunahme der letzten Jahrzehnte. Acht Prozent aller erwachsenen Frauen und vier Prozent aller über 18-jährigen Männer in Österreich gelten als untergewichtig. Und fast die Hälfte aller männlichen und rund ein Drittel aller weiblichen Österreicher galten im Jahr 2003 als übergewichtig, 12% aller Männer und 17% aller Frauen sind von Adipositas ("Fettsucht" ) betroffen (siehe Grafik unten). In den USA gelten bereits - wohlgemerkt trotz eines Überangebots an Diät-Strategien - rund ein Drittel aller Erwachsenen als fettsüchtig. Gesundheitsexperten vermuten, daß diese Tendenz noch weiter zunehmen wird und aus diesem Grund mit Essstörungen verbundene Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenschäden und Schäden des Verdauungstraktes zukünftig zu den wesentlichsten Gesundheitsrisken werden. So stellen sich schwierige "Herausforderungen" für unsere westliche Überflussgesellschaft mit ihrer Nahrungsmittelindustrie.

Anorexia nervosa
Extreme Magerkeit durch Fasten. Die betroffenen Menschen haben starke Furcht vor Gewichtszunahme, das Fasten kann im Extremfall lebensgefährliche Ausmaße annehmen: eine im Juli 2000 fertiggestellte Langzeituntersuchung der Universitätsklinik Heidelberg etwa ergab, daß jede zehnte Frau mit Magersucht noch Jahrzehnte später am Vollbild der Erkrankung leidet, über 15% der Erkrankten sterben an direkten Folgen.
"Betroffen" von Anorexia nervosa sind hauptsächlich junge Frauen (ca. 0,5-1%) zwischen ca. 12 und 25 Jahren - und zwar immer mehr von ihnen.
Als Teilursachen werden in vielen Forschungsarbeiten Zusammenhänge mit der geschlechtlichen Rollenidentität und/oder familiäre Dynamiken angenommen, neuere Forschungen legen jedoch nahe, daß auch weitere Faktoren wie z.B. Körperbildstörungen mitverantwortlich sein dürften.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), hypnotherapeutische, verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Magersucht mit Laxantien- und Diuretika-Abusus
Bulimische Magersucht, eine Mischform von Bulimia nervosa und Anorexia nervosa, bei der meist mit medikamentöser Unterstützung abgeführt wird.

Bulimia nervosa
Die betroffenen Frauen und (seltener) Männer (ca. 4-6% der weiblichen Bevölkerung zwischen 15 und 35 Jahren, Tendenz steigend, besonders im Jugendalter) haben meist Normalgewicht (-> keine Auffälligkeit beim BMI-Test), allerdings haben sie mehr oder weniger oft regelrechte "Essanfälle" (->Binge eating), bei denen exzessiv (schnell und große Mengen) meist hochkalorischer Nahrungsmittel gegessen und danach Kompensationsmaßnahmen ergriffen werden, um das Körpergewicht zu halten (z.B. selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzessive Ausübung von Sport). Das extreme Essverhalten wird gut verborgen - es gibt Betroffene, die vor ihren Partnern jahrelang verheimlichen, dass sie sich teils mehrmals pro Woche übergeben
Das angepeilte Körpergewicht kann bei der Bulimie durchaus auch untergewichtig sein.
Die Prävalenz wird auf etwa 2% aller Frauen ab der Spätpubertät bis ca. dem 35. Lebensjahr geschätzt, wobei extremes Übergewicht oder auch eine Anorexia nervosa sehr häufig einer Bulimie vorausgehen.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Latente Adipositas
Latent ess"süchtige" Menschen versuchen, ihren Körper völlig unter Kontrolle zu halten, indem sie einen Wechsel zwischen Total-Diäten und zuviel-Essen betreiben. Ihr Körpergewicht beschäftigt sie ständig - und sie haben das Gefühl, einem dauernden Kampf gegen dieses "Auf und Ab" ausgeliefert zu sein.
Die latente Adipositas kann der Einstieg zu Bulimie oder Anorexie sein.
Diagnostisch ist sie im Schema ICD-10 (International Classification of Diseases) erfaßt, jedoch nicht im DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fourth Edition), da zum Zeitpunkt dessen Erstellung nicht nachgewiesen war, daß hiefür psychologische (Mit-)Ursachen vorliegen. Es besteht heute jedoch kein Zweifel mehr darüber, daß psychologische Faktoren in der Entstehungsgeschichte (Ätiologie) und/oder dem Verlauf der Adipositas eine Rolle spielen, was mit speziellen Tests nachgewiesen werden kann. Folglich stellt psychotherapeutische Unterstützung eine wesentliche Begleitmaßnahme in der Therapie dieser Eßstörung dar. Als Methoden haben sich die gleichen wie bei der Bulimie bewährt.

Adipositas mit vermehrter Nahrungsaufnahme
Im Volksmund oft "Esssucht" oder "Fresssucht" genannt. Die betroffenen Menschen haben die Kontrolle über ihr Essverhalten verloren und sind durch die sie überkommenden Essanfälle sowie den Jojo-Effekt von Schnell-Diäten meist leicht bis stark übergewichtig - ein Zustand, unter dem sie stark leiden.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische, gestalttherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Sonderformen von Essstörungen
"EDNOS"

EDNOS ist eine Abkürzung für "Eating Disorder Not Otherwise Specified". Unter diesem Krankheitsbild (spezifiziert unter dem Diagnoseschlüssel 307.50 des DSM IV und dem Schlüssel F50.9 des ICD-10) werden jene Eßstörungen zusammengefaßt, die entweder eine Mischform aus Anorexie, Bulimie und Adipositas darstellen oder nicht eindeutig einer dieser Störungen zuzuordnen sind. Dazu gehören beispielsweise:

•Frauen, die die Kriterien von Anorexie erfüllen, aber noch regelmäßige Menstruationsblutungen haben

•wenn alle Kriterien der Anorexie erfüllt sind, aber trotz deutlichem Gewichtsverlust immer noch Normalgewicht vorliegt (->BodyMassIndex)

•wenn eigentlich die Kriterien für Bulimie erfüllt sind, aber "Binge Eating"-Anfälle oder inadäquates Verhalten nach dem Essen seltener als 2x/Woche oder die Dauer von 3 Monaten auftreten

•bei normalem Körpergewicht inadäquates Verhalten nach der Aufnahme normaler Nahrungsmengen (zB. selbstinduziertes Erbrechen nach dem Essen von 2 Keksen)

•große Mengen von Nahrung werden gekaut und danach ausgespuckt, aber nicht geschluckt

•Binge-eating disorder (siehe unten)

Binge Eating
Auch dies ist ein neuer Begriff in der Reihe der Essstörungen, der aus den USA kommt. "Binge" heißt übersetzt "Gelage" und wird in den USA üblicherweise im Zusammenhang mit Alkoholmißbrauch verwendet. Die damit angedeutete Nähe zu Suchterkrankungen drückt sich in der Verwendung des Begriffes für eine bestimmte Form der Eßstörung aus, nämlich "Essattacken". Von "Binge Eating" wird dann gesprochen, wenn mindestens 6 Monate hindurch an zumindest 2 Tagen pro Woche eine Anfall von Heißhunger auftritt, bei dem in kürzester Zeit ungewöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Eine Kontrolle über die gegessene Menge gibt es nicht. Außerdem müssen mindestens 3 der folgenden 6 Kriterien zutreffen:

•essen, ohne hungrig zu sein

•besonders schnelles Essen

•essen, bis ein unangenehmes Gefühl einsetzt

•es wird allein gegessen, um Gefühle von Schuld und Scham zu vermeiden

•die Ess-Anfälle werden als belastend empfunden

•nach dem Ess-Anfall treten Gefühle von Ekel, Scham oder Depressionen auf

Die auf recht kurze Zeitspannen beschränkten Essattacken unterscheiden BED (Binge Eating Disorder) von Adipositas und die ausbleibenden Maßnahmen, eine Gewichtszunahme durch Erbrechen, Intensivsport oder Fasten zu verhindern von der Bulimie

Anorexia athletica
Hierbei handelt es sich aus therapeutischer Sicht um einen diagnostisch nicht relevanten Medien- bzw. Modebegriff, der eine Kombination von zwanghafter Diäternährung und übermäßigen Sport ("Sport-Sucht" ) beschreibt. Aus fachlicher Sicht wäre sie je nach Symptomatik im Bereich Bulimie oder EDNOS einzuordnen.

Pica-Syndrom
Das Pica-Syndrom (auch: Picazismus) wurde erst vor wenigen Jahren erstmals in der Fachliteratur erwähnt. Es bezeichnet ein Krankheitsbild, bei dem Menschen ungewöhnliche und ausgefallene Dinge essen, wie zum Beispiel Erde, Papierschnipsel, Kreide, Ton oder kleine Plastikspäne, mitunter auch Dinge, die bei anderen Menschen Ekel hervorrufen können wie Exkremente (Koprophagie).
Bei kleinen Kindern ist hierbei zunächst einmal von einem bloßen Ausprobier- und Entdeckungsverhalten auszugehen, bei dem buchstäblich alles in den Mund genommen wird. Erst, wenn es häufig und offenbar absichtsvoll gewollt zu unterschiedslosem Aufessverhalten kommt, besteht möglicherweise Anlass, ein Pica-Syndrom anzunehmen.
Vom medizinischen Standpunkt her ist zu erwähnen, dass Betroffene sich einem grossen Risiko von Vergiftungen und Infektionen aussetzen, häufig unterschätzt wird das Risiko einer einseitigen Ernährung oder gar Unterernährung oder ärztlich zu behandelnden Verstopfungen.

Orthorexia nervosa
Orthorexia nervosa bedeutet krankhaftes "Gesund"-essen, und ist diagnostisch in einem Grenzbereich zu Zwangsstörungen anzusiedeln. Betroffene verbringen mehrere Stunden täglich damit, Vitamingehalte und Nährwerte zu berechnen, sowie spezifische Lebensmittel für ihre Ernährung auszuwählen, wobei sich die Auswahl der "erlaubten" Lebensmittel tendentiell immer mehr verringert. Die Folgen dieses Störungsbildes sind längerfristig Unter- und Mangelernährung sowie soziale Isolation. Die Betroffenen zeigen oft Angst vor als ungesund geglaubten Lebensmitteln - Ängste, die manchmal auch wahnhafte Formen annehmen können.

Diabulimie

Diabulimie bezeichnet das Verhalten von DiabetikerInnen mit Essstörungen, sich selbst bewusst niedrig dosierte Insulingaben zu verabreichen, um das Gewicht besser halten zu können. Ausgangspunkt für dieses Verhalten ist i.d.R. eine bereits bestehende Bulimie.
Insulin ist im Körper dafür zuständig, Glukose vom Blut in die Zellen zu transportieren. Ohne Insulin "verhungern" die Zellen, während der Organismus vom hohen Glukosegehalt des Blutes belastet wird. Die körperlichen Folgen von Diabulimie sind deshalb äußerst bedrohlich, wie neue amerikanische Studien zeigen: sehr häufig treten schwere und irreversible Folgeschäden an Augen, Nieren oder anderen Organen auf.
Jede dritte weibliche Diabetikerin unter 30 Jahren kann lt. Studie als Diabulimikerin bezeichnet werden. Warnzeichen für Diabulimie sind Gewichtsabnahme trotz normaler oder zunehmender Ernährung bei Energiemangel, hoher Blutzuckerspiegel und/oder häufiger Drang zu urinieren (bei hohem Blutzuckerspiegel müssen die Nieren auf Hochtouren arbeiten, um die überschüssige Glukose aus dem Blut zu filtern).
Diabulimie ist eine der für den Körper gefährlichsten Essstörungen.

zuletzt bearbeitet 13.09.2010 19:37 | nach oben springen
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